Endrunde beim Doppelscheck Rätsel ist gelöst

Rätsel, die zum Lösen einen größeren Zeitaufwand erfordern, wie z. B. schwierige Physik- und Matherätsel.

Re: Endrunde beim Doppelscheck

Beitragvon Otmar » Mittwoch 28. März 2012, 00:19

Musagetes hat geschrieben:Angenommen ein Sender hätte eine unbegrenzte Geldmenge und natürlich auch die Zeit zur Verfügung, dann könnte ich mir vorstellen, dass durch die zusätzliche Information durch den Geldbetrag im roten Umschlag, dieser Widerspruch sich im Unendlichen vereinbaren lässt.

Genau so ist es. Ich scheib morgen noch etwas dazu, und verbleibe heute mit einem :glueckwunsch: an Musagetes.
Liebe Grüße, Otmar.
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Re: Endrunde beim Doppelscheck

Beitragvon Otmar » Donnerstag 29. März 2012, 23:32

Bevor ich die Lösung zusammenfasse, muss ich noch einen :glueckwunsch: an Zentimeter schicken, denn Zentimeter hat ja die ersten beiden Fragen richtig gelöst und war an Frage C so dicht dran, dass ich es eigentlich schon als Lösung werten wollte.

Aber nun noch mal zusammengefasst die Lösung mathematisch und statistisch:
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Dazu gibt es erstmal ein Blatt mit nummerierten Formeln, die ich für die Beschreibung brauche.
Formeln.PNG
Formeln.PNG (83.49 KiB) 1058-mal betrachtet

Erklärung:

In (1) ist k die Anzahl der Wappenwürfe und (2) die Wahrscheinlichkeit dafür dass sich genau k Wappenwürfe ereignen. In (3) und (4) wird die Wahrscheinlichkeit für verschiedene Beträge im roten Umschlag angegeben. In (5) und (6) steht der Erwartungswert für den Betrag im blauen Umschlag, unter der Bedingung, dass im roten ein möglicher Betrag gefunden wurde. In (7) bis (10) wird aus (3) bis (6) der Erwartungswert für den blauen Umschlag berechnet, wenn man gewichtet über alle Möglichkeiten des roten Umschlags mittelt. Diese Berechnung gibt an, wie hoch der erwartete Gewinn im blauen Umschlag ist, ohne den roten zu öffnen. In (11) bis (14) wird aus (3) und (4) der Erwartungswert für den Betrag im roten Umschlag berechnet, ohne irgendeine Rücksicht auf den blauen Umschlag zu nehmen.

Antwort Frage A:
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Da im roten Umschlag 1968300 Euro waren berechnet man mit (6) E(B| 1968300 Euro) = 11/9 1968300 Euro = 2405700 Euro.

Antwort Frage B:
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Aus (5) und (6) ergibt sich, dass der Erwartungswert für den Betrag im blauen Umschlag entweder dreimal größer ist oder 11/9-mal größer ist als der vorgefundene Betrag im roten Umschlag. Da das immer mehr ist, als der rote Umschlag zeigt, würde Paul immer den blauen Umschlag nehmen.
Antwort Frage C:
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Das ist komplizierter. Das Öffnen des roten Umschlags schafft ein neues Szenario in dem der Erwartungswert für den blauen Umschlag angegeben wird gegenüber dem vorher da gewesenen Szenario bei dem der rote Umschlag noch nicht geöffnet war. Im Fall mit offenem rotem Umschlag betrachtet man zur Bestimmung des Erwartungswertes aus der statistischen Gesamtmenge nur die Spiele bei denen dieser gefundene Betrag im roten Umschlag war. Dieser bedingte Erwartungswert kann für jeden möglichen Fall berechnet werden und ist in (5) und (6) angegeben. In diesem Fall ist es immer möglich den erwarteten Gewinn über den Betrag im offenen roten Umschlag zu erhöhen.
Wenn hingegen der rote Umschlag nicht offen ist, dann ist der Erwartungswert für den Betrag im blauen Umschlag unendlich. Das zeigt entweder Gleichung (10) oder wenn man rot und blau tauscht auch Gleichung (14). Da ohne Öffnen die Erwartungswerte für rot und blau beide unendlich sind, sind die Umschläge bezüglich der Gewinnerwartung auch gleichwertig, was konform ist mit dem zufälligen Befüllen des roten und blauen Umschlags und der Annahme, dass danach beide gleichwertig sein müssen, wenn keiner geöffnet wurde.

Das war die Lösung.


Paradox erscheint allerdings,
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dass Paul bei offenem roten Umschlag immer durch Tauschen seinen Gewinn gegenüber dem roten Umschlag erhöht hätte, man also meint, dass das Öffnen des roten Umschlags gar nicht nötig ist, um die Gewinnerwartung zu erhöhen und der blaue Umschlag auch ohne Öffnen des roten Umschlags einen höheren Gewinn versprechen würde. Dieser Gedankengang wäre auch richtig, wenn die gesamte Gewinnerwartung endlich gewesen wäre, also bei Gleichung 10 kein unendlicher, sondern ein endlicher Betrag stehen würde. Aber das ist ja nicht so und unser Denken muss sich auf Relationen, die im Unendlichen gelten oder dort nicht mehr gelten, einstellen.

Vielleicht mal ein anderes, aber ähnliches Beispiel. Wenn wir die Frage beantworten sollen, ob die Summe der natürlichen Zahlen größer ist als die Summe der Quadratzahlen, dann haben wir ein ähnliches Dilemma. Beide Summen sind unendlich und wir können bezüglich der Größe keine bevorzugen. Man kann zwar einerseits sagen dass jede Quadratzahl größer ist, als die Zahl aus der quadriert wurde und deshalb vermuten, dass 1+2+3+4+… doch eher kleiner als 1+4+9+16+…sei, aber andererseits könnte man auch vermuten, wenn man immer bis zur gleichen Zahl summiert, 1 + (2+3+4) + (5+6+7+8+9) + (10+11+12+13+14+15+16)+… größer erscheint als 1+4+9+16+…. Beide Vermutungen sind falsch. Fazit, man muss mit Summen, die unendlich sind immer sehr vorsichtig sein. Vergleichen lassen sie sich jedenfalls nicht, auch wenn alle Summanden einer Summe kleiner sind, als die der anderen, denn daraus folgt nicht, dass eine Summe kleiner ist, als die andere.
Soweit zur Mathematik.

Man kann es auch statistisch erklären.
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Wenn der Erwartungswert einer Zufallsgröße unendlich ist, heißt das nicht, dass man bei jedem Spiel oder im Mittel über viele Spiele unendlich hohe Gewinne erwarten kann, denn die realisierten Gewinne werden endlich bleiben, weil die Wahrscheinlichkeit für einen unendlichen Gewinn Null ist. Macht man mit so einer Verteilung ein statistisches Experiment mit sehr vielen Versuchen, dann nähert sich der Mittelwert des Gewinns (ohne Öffnen) nicht einer festen Größe, dem Erwartungswert, was sie üblicherweise tut, sondern springt umher und wächst tendenziell mit mehr Versuchen immer weiter an.
Es gibt einige mögliche, aber sehr unwahrscheinliche Fälle, für extrem hohe Gewinne, die stärker steigen als der Reziprokwert der Wahrscheinlichkeit mit der sie auftreten. Z.B. treten genau 30 Wappenwürfe im Durchschnitt einmal in ca. einer Milliarden Spiele auf. Das ist selten. Aber der Gewinn ist dann, 100 * 3^30 oder 300 * 3^30 Euro, also im Durchschnitt 200 * 3^30 Euro. Das hebt bei einer Milliarden Spielen den durchschnittlichen Gewinn, je Spiel um 41 Millionen Euro, also einen signifikanten Betrag. Und je länger man spielt, desto wahrscheinlicher werden diese seltenen exorbitanten Gewinne, die zu wesentlichen Verbesserung des durchschnittlichen Gewinns beitragen.

Jetzt kommen wir bei dem statistischen Experiment wieder zurück zum Spiel mit offenem Umschlag und bilden jeweils Gruppen für bestimmte mögliche Beträge im roten Umschlag. In jeder Gruppe kommen ab und zu neue Experimente dazu, wobei Gruppen mit hohen Beträgen wesentlich seltener einen Zuwachs in Form eines Spiels bekommen, als Gruppen mit kleineren Beträgen im roten Umschlag. Für die Gruppe mit 100 Euro im roten Umschlag, waren immer 300 Euro im blauen. Bei allen anderen Gruppen stellt sich im Mittel ein Gewinn beim blauen Umschlag ein, der 22.2% höher ist als der Betrag im roten Umschlag. Soweit sind wir konform zur Antwort auf Frage B. Wenn wir aber zu einem bestimmten Zeitpunkt aufhören, dann wird es immer Gruppen geben, in denen nur sehr wenige, einzelne Experiment vorliegen, man also den Erwartungswert für den Gewinn in der Gruppe statistisch noch nicht aus dem Mittelwert bestimmen kann, weil es zu wenige Experimente dafür sind, z.B. weniger als 5. Aber genau in diesen Gruppen geht es um das meiste Geld und diese Gruppen beeinflussen den mittleren Gewinn im roten bzw. blauen Umschlag am meisten. Deshalb kann auch bei einem statistischen Experiment nicht von höheren Erwartungswerten für blau in allen Gruppen auf den höheren Mittelwert für blau in allen Spielen und Gruppen geschlossen werden, weil es immer so ist, das der Mittelwert in den entscheidenden Gruppen oft stark vom Erwartungswert des Gewinns in dieser Gruppe abweichen kann, weil noch zu wenige Spiele für diese Gruppe gemacht wurden. Anders gesagt, wenn wir so lange spielen, bis eine bestimmte Gruppe, sagen wir die mit dem Betrag 100 * 3^30 Euro, mindestens tausend Spiele hat, um in dieser Gruppe den existierenden Erwartungswert durch den Mittelwert beim Spielen überprüfen zu können, dann wird es andere Gruppen geben, die wesentlich höhere Beträge beinhalten mit wesentlich weniger Spielen, die aber einen Rückschluss vom Mittelwert auf den Erwartungswert noch nicht zulassen. Mithin gibt es keinen Widerspruch, dass der Erwartungswert in jeder Gruppe für den blauen Umschlag höher ist als für den roten, aber ungruppiert beide Umschläge gleichwertig sind, weil die Gruppen-Erwartungswert Aussage bei keinem statistischen Experiment für alle Gruppen-Mittelwerte gelten kann und insbesondere nicht für die Gruppen, in denen es um die entscheidenden Geldbeträge geht, die den Mittelwert über alle Gruppen, also ohne einen Umschlag zu öffnen, am meisten beeinflussen.

Zur Veranschaulichung habe ich das Spiel mal im Rechner simuliert und zwar für 60 Millionen Spiele. Mein Rechner hatte auch genügend große Zahlen, um die Geldbeträge abzuspeichern.
doppelscheck rot.PNG
doppelscheck rot.PNG (22.08 KiB) 1058-mal betrachtet

doppelscheck blau.PNG
doppelscheck blau.PNG (21.58 KiB) 1058-mal betrachtet

In den Grafiken sieht man von links nach rechts Mittelwerte bis zur jeweiligen Position auf der x-Achse. Mit jedem Pixel in x Richtung kommen 10000 Spiele dazu. Farbig sieht man die Beträge in den ersten 18 Gruppen für den Betrag im roten Umschlag, der auch rechts angegeben ist. Die y-Achse hat eine logarithmische Skala. Farbig gepunktet sind die Beträge des roten Umschlags in den jeweiligen Gruppen dargestellt. Die dickeren farbigen Kurven sind die Mittelwerte für die Beträge im blauen Umschlag der jeweiligen Gruppe, wobei die Dicke der Kurve von einem Pixel auf 2 Pixel ansteigt, wenn mehr als 100 Spiele in der Gruppe sind.
Die dicke weiße Kurve zeigt den Mittelwert des Gewinns über alle Spiele. Im Gegensatz zu den Mittelwerten in den einzelnen Gruppen, stabilisiert sich dieser nicht, sondern springt an bestimmten Stellen nach oben um dann, bis zum nächsten Sprung wieder langsam abzufallen. Ist eigentlich so, wie man es sich vorstellen würde. Die Simulation hat zwei Grafiken für die gleichen Spiele erstellt. Die ersten Grafik entspricht der Spielbeschreibung. Bei der zweiten Grafik wurden zur Kontrolle die Scheckbeträge vertauscht eingetütet, sonst war alles, auch die Wappenwürfe, wie bei der ersten Grafik.

Die Problemstellung ist wie schon gesagt relativ alt und unter dem Begriff Umschlagparadoxon bekannt. Im Gegensatz zur sehr knappen Darstellung in der deutschen Wiki findet man mehr Details, speziell zu der hier verwendeten Variante mit bekannter a-priori Wahrscheinlichkeit in der englischen Wiki:

noch mehr
Liebe Grüße, Otmar.
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Re: Endrunde beim Doppelscheck

Beitragvon Zentimeter » Samstag 31. März 2012, 13:36

Hallo Otmar,
danke für die ausführliche Lösung... deine Einschätzung, dass ich nur knapp davor war ehrt mich zwar, nach meinem Gefühl gabs da zwischen der Stufe auf der ich mich befand und der Erleuchtung noch eine verdammt dicke Nebelwand! :-)

Gehirnverzwirbelnd aber spannend, auf jeden Fall!
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Re: Endrunde beim Doppelscheck

Beitragvon Otmar » Samstag 31. März 2012, 14:35

Hallo Zentimeter, freut mich das du es spannend findest.

Muss aber gleich noch einen Fehler, der mir an der entscheidenden Stelle in der Lösung bei der Formulierung unterlaufen ist, berichtigen:
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Otmar hat geschrieben:Da ohne Öffnen die Erwartungswerte für rot und blau beide unendlich sind, sind die Umschläge bezüglich der Gewinnerwartung auch gleichwertig, was konform ist mit dem zufälligen Befüllen des roten und blauen Umschlags und der Annahme, dass danach beide gleichwertig sein müssen, wenn keiner geöffnet wurde.

So formuliert, ist das natürlich nicht richtig. Aus der Feststellung, dass beide Erwartungswerte unendlich sind, kann man nicht schließen, dass die Umschläge bzgl. der Gewinnerwartung gleichwertig sind. Es muss anders formuliert werden:

Obwohl in den Summen für die Erwartungswerte von rot und blau jeder Summand, der zum Erwartungswert für den Gewinn im blauen Umschlag beiträgt, größer ist, als ein Summand an der gleichen Position in der Summe für rot, kann man daraus nicht schließen, dass der blaue Umschlag gegenüber dem roten bevorteilt ist, weil beide Erwartungswerte unendlich sind und die Erwartungswerte sich deshalb nicht vergleichen lassen. Es gibt also keinen Widerspuch zwischen der Antwort auf Frage B und der Aussage, dass wegen der zufälligen Wahl der Umschlagfarbe beim Befüllen, die Umschläge gleichwertig sein müssen, solange keiner geöffnet wurde.
Liebe Grüße, Otmar.
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